Neurophysiologische Charakterisierung von Übererregbarkeitssymptomen beim Restless Legs Syndrom zur Etablierung einer mechanismenbasierten medikamentösen Therapie

Ziele und Nutzen der Studie:

Das Restless Legs Syndrom ist nach heutigem Verständnis eine „Netzwerkerkrankung“, bei der die Symptome, Bewegungsdrang und Mißempfindungen, an verschiedenen Stellen des Gehirns, des Rückenmarks und der peripheren Nerven entstehen können. Gemeinsam ist allen Ursachen eine erhöhte neuronale Erregbarkeit, die bei schwer betroffenen Patienten auch Schmerzen und motorischer Bewegungsunruhe mit unwillkürliche Beinbewegungen führt. In den letzten Jahren konnten einerseits viele krankheitsbegünstigende Gene und andererseits erworbene Risikofaktoren identifiziert werden Die Verbindung zwischen Genetik und Komorbidität einerseits und Patientenbeschwerden andererseits ist allerdings immer noch weitestgehend unverstanden. Hier können neurophysiologischen Mechanismen, die die Gründe der Übererregbarkeit der Nervenzellen identifizieren, wesentlich zum Krankheitsverständnis beitragen.

Die Erregbarkeit von Nervenzellen ist maßgeblich abhängig von sogenannten Ionenkanälen, die sowohl in der Peripherie an den Axonen aber auch auf Rückenmarksebene die Wahrnehmung von Schmerzen und auch die Ansteuerung von Muskeln regulieren können. Zu diesen Ionenkanälen gehören Natriumkanäle, Kaliumkanäle, HCN-Kanäle, etc. Krankhaft veränderte Ionenkanäle können die Erregbarkeit einer Nervenzelle maßgeblich regulieren. Aus der Schmerzforschung wissen wir bereits, dass bestimmte Formen von Schmerz auf eine Übererregbarkeit von Natrium- und Kalziumkanälen zurückzuführen ist. Folglich wirkt eine Therapie, bei die Funktion dieser Ionenkanäle geblockt oder zumindest gehemmt wird. Bislang war es schwierig im klinischen Alltag diese Subtypen zu charakterisieren. Hochauflösende neurophysiologische Methoden, wie auch wir sie im beantragten Projekt verwenden möchten, ermöglichen diese hochauflösende Diagnostik.

In der beantragten Studie ist daher geplant, die individuelle Erregbarkeit des Nervensystems auf Rückenmarksebene und auf Ebene des peripheren Nervens an RLS-Patienten und gesunden Kontrollprobanden zu untersuchen und diese Ergebnisse anhand klinischer Fragebögen mit dem subjektiven Schweregrad der Symptome eines Patienten zu korrelieren.

Wir erwarten hierdurch objektive neurophysiologische Profile von RLS-Patienten, die Rückschlüsse auf die individuelle Pathophysiologie und die zugrundeliegenden Mechanismen erlauben. Es besteht wie oben bereits erwähnt eine Analogie zur Schmerzforschung: dem neuropathischen Schmerz liegen unterschiedliche Mechanismen zugrunde (bspw. periphere Übererregbarkeit: Natriumkanal vermittelt vs. spinale Übererregbarkeit: Kalziumkanal vermittelt). Eine individuelle Charakterisierung des zugrundeliegenden Mechanismus ermöglicht die Auswahl des wirksamen Medikamentes (Kalziumkanalblocker vs. Natriumkanalblocker).

Die erwarteten Ergebnisse aus dieser Studie sollen auch helfen, Mechanismen-basiert bekannte Medikamente einzusetzen und neue bislang nicht bekannte therapeutische Ansätze zu finden. Im Rahmen der Studie soll daher die Wirksamkeit von Pregabalin und Rotigotin mit Hilfe der eingesetzten neurophysiologischen Methoden objektiv gemessen werden. Es ist aber auch durchaus denkbar, dass durch diese Studie andere bekannte Medikamente wie Natriumkanalblocker (bspw. Carbamazepin) als Medikament gegen RLS etabliert werden könnte.

Somit erhoffen wir uns, durch unsere Ergebnisse zum einen die Patientenversorgung direkt zu verbessern, indem durch Erhebung eines individuellen neurophysiologischen Profils rascher die richtige Therapie begonnen werden kann. Zum anderen erwarten wir die Charakterisierung neuer therapeutischer Mechanismen.

Im Detail sollen folgende neurophysiologische Methoden eingesetzt werden.

  • Erregbarkeitsuntersuchung sensibler und motorischer Arm- und Beinnerven:
    Diese Methode erlaubt die indirekte Untersuchung von Ionenkanälen am Patienten.
  • Rekrutierungsverhalten motorischer Einheiten im Rahmen einer Willkürinnervation:
    Diese Methode erlaubt die Erregbarkeit auf Rückenmarksebene zu messen und auch indirekt die Bedeutung der dort vorkommenden Ionenkanäle.
  • Quantitative sensorische Testung:
    Eine Subgruppenanalyse mittels dieser Methode ergänzt die Methoden 1 und 2.
  • Bestimmung des aktuellen PLM-Index durch ein ambulantes PSG-Gerät:
    Der PLM Index stellt ein objektives Kriterium für den Schweregrad der motorischen Symptome dar.

Diese Untersuchungen sollen zunächst an 20 unmedizierten Patienten mit einem idiopathischen Restless Legs Syndrom durchgeführt werden. In einer zweiten vom Ablauf her identischen Untersuchung sollen die Patienten unter Medikation untersucht werden. Hierbei werden die Patienten in zwei Gruppen aufgeteilt. 1. Gruppe: Medikation mit Pregabalin, 2. Gruppe, Medikation mit dem Dopaminagonisten Rotigotin. Außerdem sollten die Untersuchungen an einer Kontrollgruppe bestehend aus 15 gesunden Probanden durchgeführt werden. Ferner werden die Patienten und die gesunden Probanden gebeten, Rating-Skalen zum RLS-Schweregrad, zu chronischen Schmerzen und zur Schlafqualität für die Woche vor dem Ambulanzkontakt auszufüllen. Im Rahmen der Auswertung sollen dann die Wirkungen der einzelnen Medikamente auf die Erregbarkeit und die klinische Wirksamkeit (Rating-Skalen) evaluiert und die einzelnen Werte miteinander korreliert werden.

Die Dauer der Studie soll 1 Jahr betragen. Der Antragssteller betreut in diesem Zeitraum die RLS-Ambulanz der UMG Göttingen und hat somit die Möglichkeit, Patienten aus der Ambulanz für diese Studie zu rekrutieren. Gesunde Kontrollen sollen über Aushänge, Angehörige von Patienten und ggfs. Annoncen in der Tageszeitung rekrutiert werden. Die Probanden erhalten bei Bedarf 100 Euro Aufwandsentschädigung für eine Untersuchung und außerdem ein klinisches Beratungsgespräch sowie einen Arztbrief.

Als Projektleiter ist Dr. med. Dirk Czesnik verantwortlich für die ordnungsmäßige Durchführung des Forschungsprojektes, das Ende 2017 beginnend am Zentrum für Neurologische Medizin der Universität Göttingen durchgeführt wird

Kontakt:

Dr. med. Dirk Czesnik

UMG

Zentrum für Neurologische Medizin
Klinik für Klinische Neurophysiologie
Robert-Koch-Straße 40
37075 Göttingen

PDF-Download:  1710_czesnik-neurophysiol-charakterisierung